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Die Wüste lebt – über Son of the Velvet Rat und ihr Album Ghost Ranch

 

 

„I got my Sunday-suit and a free ticket / For the county fair“

Das sind gute Nachrichten aus der Wüste. Das singt Georg Altziebler auf „Beautiful Day“, einem der elf hypnotischen Lieder auf „Ghost Ranch“, der neuen Platte seiner Lebensband Son Of The Velvet Rat. 

 

Son of the Velvet Rat gibt es für mich gefühlt schon immer, und ihre Musik hat sich für mich schon immer gleichzeitig uralt und nagelneu angefühlt. Es ist nicht so leicht, eine fast 20 Jahre alte Beziehung zu dieser Band chronologisch zu ordnen. Aber ich würde sagen, es war 2006 oder 2007 oder 2008, als wir einander in Wien, in einem kleinen gläsernen Club  am Donaukanal trafen. Auf dem Wiener Label monkey. erschienen die Platten von SotVR ebenso wie meine, und egal, wie verschieden die Musik sein mochte, es war, wie fast immer eigentlich, eine Zeit, in der es Songwriter nicht leicht hatten, und daher naheliegend, dass wir einander irgendwann einmal wo treffen würden.

 

Ich hatte mein Set gespielt, geraucht und  getrunken und kam in den Club zurück, als Georg Altziebler ein Intro spielte, mit einer fertigen Telecaster in einen kleinen, genau richtig überforderten Röhrenverstärker. Dazu beschäftigte sich Heike Binder mit winzigen, gespenstischen Keyboards und sang gänsehauterzeugende Harmonien. Insgesamt so beglückend wie verstörend: Da waren zwei sehr schöne Menschen, mit sehr langsamen, eindringlichen Songs und einem Sound, der nicht und nicht in Einklang mit dem Ort zu bringen war, an dem er gerade entstand.

 

Ich glaube, ich habe Walter Gröbchen, unseren damaligen Labelchef, dreimal gefragt, ob er Witze mache, als er mir dreimal sagte, die beiden stammten, ja, echt,  aus Graz.

Ich glaubte ihm nicht. Das kam von woanders her, aus einer geradezu unendlichen Ferne.

 

„If I had a friend I know he would agree / Justice will be done eventually“,

heißt es in „Rosary“, meinem Lieblingslied auf der neuen Platte.

 

Als man mir ein paar Jahre später erzählte, Georg und Heike seien mit ihrem kleinen Sohn nach Joshua Tree  in die kalifornische Wüste gezogen, war ich diesmal überhaupt nicht erstaunt. 

 

Songs fängt man ein wie kleine scheue Tiere oder die Schwänze von Sternschnuppen. Nirgendwo geht das besser als am Ufer, auf dem Berg oder in der Wüste.  Etwas rastete ein, Son of the Velvet Rat waren offenbar angekommen. Ihre Platten indes schafften es immer bis nach Wien-Erdberg zu mir. Eine schöner als die andere. Überall tauchten darauf plötzlich meine Hausheiligen auf,  hier sang Lucinda Williams zwei Nummern mit, da hatte Joe Henry produziert, am neuen Album spielt Marc Ribot eine elektrische Gitarre, so einsam wie die Flugbahn eines steinalten Meteoriten.

 

Dieses neue Album hat insgesamt eine traurige Magie, die Hank Williams vielleicht meint, wenn er „the silence of a falling star“ sagt. Ich höre die Platte wieder und wieder. Und dann noch einmal. 

 

Ich könnte die zwei einmal in der Wüste besuchen, denke ich dann. Dann höre ich die Platte noch einmal.

 

Ernst Molden, Wien, 2023

LINER NOTES von Ernst Molden

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